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Berliner Grünen-Politikerin zum Kopftuchverbot: „Schaffen Sie das Neutralitätsgesetz ab!“

Berliner Grünen-Politikerin zum Kopftuchverbot: „Schaffen Sie das Neutralitätsgesetz ab!“

Die Berliner Abgeordnete Tuba Bozkurt will, dass künftig nicht nur Lehrerinnen Kopftuch tragen dürfen. Religiöse Symbole sollen auch für Polizei und Justiz erlaubt werden.

Die Grünen-Abgeordnete Tuba Bozkurt am Donnerstag in der ParlamentsdebatteFabian Sommer/dpa

Genug ist nie genug. Im Berliner Abgeordnetenhaus geht der Streit um das Neutralitätsgesetz weiter. Die schwarz-rote Koalition hat sich darauf geeinigt, Lehrerinnen in Berlin nicht mehr pauschal zu verbieten, in der Schule ein Kopftuch als religiöses Symbol zu tragen.

Danach soll ein Verbot künftig nur noch möglich sein, wenn aufgrund nachweisbarer Tatsachen durch das Kopftuch eine konkrete Gefährdung oder Störung des Schulfriedens vorliegt. In der Debatte wurde klar: Den einen geht diese Absicht viel zu weit, den anderen nicht weit genug.

Berliner Grüne und Linke sind für Kopftuchfreiheit auch für Polizei und Justiz

„Das diskriminierende Verbot religiöser Kleidung bleibt mit dieser Reform bestehen – es soll jetzt nur besser verkleidet werden“, kritisierte die Grünen-Abgeordnete Tuba Bozkurt. Die Sprecherin für Antidiskriminierung ihrer Fraktion hob in ihrer Rede das Recht auf Selbstbestimmung ­hervor – „das Recht, über das eigene Leben, den eigenen Körper, das eigene Auftreten zu entscheiden, ohne Angst, Repression oder staatliche Willkür“. Das dürfe nicht relativiert werden. Deswegen, so Bozkurt, fordert Sie: „Schaffen Sie das Neutralitätsgesetz ab! Für einen öffentlichen Dienst, der alle mitdenkt – und niemanden ausschließt.“

Tuba Bozkurt, die nach eigener Darstellung früher selbst Kopftuch trug, hat sich als Kämpferin gegen das Kopftuchverbot einen Namen gemacht. Das erste Mal auffällig im Berliner Abgeordnetenhaus, dem sie seit 2021 angehört, wurde sie im Juni 2024. Da hatte während einer Fragestunde zum tödlichen Messerangriff in Mannheim Innensenatorin Iris Spranger (SPD) einen Satz mit „Der schreckliche Tod von Mannheim zeigt uns natürlich …“ begonnen. Bozkurt rief dazwischen „Mannheim ist tot?“. Später entschuldigte sich die Grüne, in letzter Konsequenz verzichtete sie auf einen Sitz im Präsidium des Abgeordnetenhauses.

Die Linken-Abgeordnete Elif Eralp am Donnerstag in der Parlamentsdebatte
Die Linken-Abgeordnete Elif Eralp am Donnerstag in der ParlamentsdebatteFabian Sommer/dpa

Diesmal lief alles beanstandungsfrei ab. Und Tuba Bozkurt erhielt Unterstützung von ihrer Linken-Kollegin Elif Eralp. Diese hielt nach eigenen Worten bereits die Tatsache, dass die schwarz-rote Koalition ihren ebenfalls frich erarbeiteten Entwurf des Polizeigesetzes mit dem des Neutralitätsgesetzes zu einem Tagesordnungspunkt zusammenfasste, für „einen Akt der Diskriminierung“. Und das gelte erst recht, wenn einer Frau allein deshalb unterstellt werde, sie halte sich nichts an Grundgesetz, weil sie ein Kopftuch trägt. Dabei sei doch eben dieses Grundgesetz „ein antifaschistisches und antirassistisches Manifest“, so Eralp.

Genau wie Bozkurt forderte auch Eralp, dass religiöse Symbole auch für Polizei, Staatsanwaltschaft und Richter erlaubt werden sollen. Allen müsste der gleiche Zugang zu solchen Ämtern gewährt werden, alles andere sei diskriminierend.

Berliner Linke: Das Grundgesetz ist ein „ein antifaschistisches und antirassistisches Manifest“

So weit geht die einschlägige Rechtsprechung des Bundesverfassungsgerichts in Karlsruhe nicht. Dieses hält zwar das Berliner Neutralitätsgesetz seit zehn Jahren für verfassungswidrig – mit der feinen Einschränkung allerdings, dass dies nur für Lehrerinnen gelte. Und dies nur, solange der Schulfriede nicht gestört ist. Von Frauen im Justiz- und Vollzugsdienst ist nicht die Rede. Soll heißen: Polizistinnen, Staatsanwältinnen und Richterinnen dürfen weiterhin kein Kopftuch tragen. Dem trägt jetzt Schwarz-Rot mit seinem Gesetzentwurf Rechnung, aber zähneknirschend.

CDU-Fraktionschef Dirk Stettner hatte vor einigen Tagen via X klargestellt, in welchem Zwiespalt er steckt: „Wir als CDU-Fraktion Berlin sagen klar: Der Staat muss religiös neutral bleiben. Deshalb haben wir das Neutralitätsgesetz immer unterstützt. Aber: Wir stehen zum Rechtsstaat. Auch wenn wir inhaltlich anderer Meinung sind – wir setzten die Entscheidung des Bundesverfassungsgerichts um. Denn Recht steht über Meinung.“

Wir als CDU-Fraktion Berlin sagen klar: Der Staat muss religiös neutral bleiben. Deshalb haben wir das Neutralitätsgesetz immer unterstützt.Aber:

Wir stehen zum Rechtsstaat. Auch wenn wir inhaltlich anderer Meinung sind – wir setzen die Entscheidung des… pic.twitter.com/r6F6Ds9NfI

— Dirk Stettner (@DirkStettner) June 25, 2025

Doch die neue Freiheit für Lehrerinnen gefällt nicht allen. Viele Jahre lang hat etwa die Interessengemeinschaft der Berliner Schulleiter (IBS) für den Erhalt des Kopftuchverbots für Lehrerinnen gestritten. Im Jahr 2020, als das Bundesarbeitsgerichts zugunsten einer Kopftuch tragenden Berliner Lehrerin entschied, zeigte sich der Verband erschüttert. „Wir sind entsetzt über dieses Urteil, das Neutralitätsgesetz ist für uns unabdingbar“, sagte die damalige IBS-Vorsitzende Astrid-Sabine Busse, die es bekanntlich ein Jahr später zu Berlins Bildungssenatorin brachte. „Staatliche Schule muss neutral sein. Weder religiöse Symbole noch Parteiabzeichen haben da irgendwas zu suchen.“

Berliner Schulleiterverband: „Jemand mit Kopftuch kann Neutralität nicht glaubhaft vermitteln.“

Nun ist Busse sowohl im Schulleiterverband als auch in der Politik Geschichte. An einer grundsätzlichen These hält der IBS aber bis heute fest: „Jemand mit Kopftuch kann Neutralität nicht glaubhaft vermitteln.“

Kompliziert bleibt in jedem Fall die Frage, wann eine Störung des Schulfriedens vorliegt. Jura-Professorin Kirsten Wiese von der Hochschule für öffentliche Verwaltung in Bremen hat vor einigen Tagen dem RBB Antwort darauf gegeben. Einer Lehrerin dürfe das Tragen eines Kopftuchs „verboten werden, wenn die Lehrerin missionarisch ist, über das Tragen des Kopftuches hinaus“. Wenn sie etwa die Botschaft verbreite: „Bekehrt euch zum muslimischen Glauben! – dann liegt eindeutig eine Gefährdung der Neutralität vor“. Andere, differenziertere Fälle dürften mit Sicherheit vor Gericht landen.

Bei Berlins Grünen und Linken haben sich die Identitätspolitiker durchgesetzt

Auffällig bei der gesamten Debatte ist in jedem Fall der komplette Schwenk von Linken und Grünen in Berlin. In beiden Parteien waren über Jahrzehnte zahlreiche Politiker aktiv, die sich vehement für eine Neutralität des Staates einsetzten. Das ist offenbar komplett vorbei – bei den Grünen schon früher als bei den Linken. So war es mit dem damaligen Justizsenator Dirk Behrendt ein Grüner, der als erster verantwortlicher Berliner Politiker das Kopftuchverbot schleifen wollte. In der damaligen rot-rot-grünen Koalition konnte sich Behrendt jedoch nicht durchsetzen.

Von der lange Zeit recht aktiven Landesarbeitsgemeinschaft (LAG) Säkulare Grüne, die vehement für die religiöse Neutralität des Staates focht, ist dagegen nur noch wenig zu hören. Ihre letzte Pressemitteilung stammt vom November vergangenen Jahres. Titel: „Islamismus entschlossen und umfassend bekämpfen.“

Berliner-zeitung

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